Erziehung

Kinder hauen, beißen, kratzen, treten

Mein Kind ist schwierig – wenn Kinder hauen, beißen, kratzen, treten

– und wie wir sie begleiten können, ohne Strafen, Drohen und Konsequenzen 

Kommt bei dir auch immer ein Fluchtreflex auf, wenn du auf Spielplätzen die kleinen Kinder weinen siehst, weil sie sich gegenseitig hauen, beißen, kratzen oder treten?

Unweit stehen meist die tratschenden Mamas, die sich absichtlich umdrehen, weil sie der Meinung sind, dass ihre Kinder diese „Konflikte“ alleine austragen müssen. 

Ich habe spätestens bei solchen Situationen den Spielplatz mit meinem Kind fluchtartig verlassen, weil ich es nicht mit ansehen konnte. Diese Energie hat mich das Weite suchen lassen. 

Für mich musste es eine andere Lösung geben.

Es hat mich sehr beschäftigt, weil ich vorbereitet sein wollte, falls mein Kleiner auch in so eine „Entwicklungsphase“ kommen sollte.

Was ich fand, war eine Menge unterschiedlicher Meinungen und Bücher.

Glücklicherweise fand ich auch einige Ansätze, die sich für mich ganz gut angefühlt haben.

Und auch eine Erklärung, weshalb unsere Kinder dies tun.

Ich war anfangs etwas überrascht, denn es hatte nichts mit kleinen Machtkämpfen unter den Kindern zu tun und auch nicht mit dem sozialen Umgang, den sie lernen sollten.

„Wenn Kinder aggressiv sind, dann ist das eine Einladung: „Hallo, mir geht es nicht gut! Könnte bitte jemand in meiner Realität vorbeikommen und mir helfen herauszufinden, was ich machen soll!“


Jesper Juul

Kleinkinder drücken ihre Emotionen meist körperlich aus, indem sie hauen, beißen, kratzen oder treten. 
Es ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass der Gehirnbereich, der für die Gefühle zuständig ist, im Alter zwischen zwei und vier Jahren schon gut entwickelt ist – jedoch ist der Gehirnbereich, der für Selbstkontrolle und Vernunft benötigt wird, noch ganz schwach. Dieser Bereich ist sogar erst im Alter von Anfang 20 Jahren fertig entwickelt! 

Deshalb werden Kleinkinder oft von ihren Gefühlen überrollt und haben sich dann selbst nicht mehr im Griff – sie verfügen noch über keine Impulskontrolle. Die Regulation ihrer Impulse lernen sie durch deine Begleitung und mit fortschreitender Gehirnreife.
Kinder brauchen uns Eltern in diesen schwierigen Situationen als Vorbild und liebevolle Begleiter. Es ist unsere elterliche Aufgabe, gemeinsam mit unseren Kindern für das, was in ihnen vorgeht, Worte zu finden. 

Hierzu müssen wir ihnen unsere volle Aufmerksamkeit geben und genau zuhören  – anstatt uns vor dem, was da gerade vor unseren Augen passiert, zu fürchten. 
Wir Eltern müssen lernen, immer hinter das Verhalten unserer Kinder zu schauen. 
Deine innere Haltung deinem Kind gegenüber ist daher ganz wichtig. 
Der Grund für das Verhalten deines Kindes ist im ersten Moment nicht die Priorität, sondern das Bewusstsein darüber, dass dein Kind in emotionaler Not ist und deine Begleitung braucht.

3 Lösungsansätze nach Jesper Juul 

In seinem Buch „Aggression“ beschreibt er drei Wege, wie Eltern auf ein hauendes Kind reagieren können. 

1. Reaktion der Eltern: „Das macht mich traurig“

Mit dieser Reaktion übertragen wir die Verantwortung für unser Wohlbefinden auf unser Kind – eine Last, die kein Kind tragen müssen sollte. Die Absicht einer solchen Äußerung ist es meist eine sofortige Verhaltensänderung des Kindes herbeizuführen. Sollte es jedoch deine tatsächliche Gefühlslage in dieser Situation darstellen, ist es auch hier ratsam, nach dem Hintergrund, den Auslöser in dir, zu suchen.

2. Reaktion der Eltern: „Ich will das nicht“ – aufzeigen deiner persönlichen Grenze

Jesper Juul gibt hier zu bedenken, dass es sich nur um das Befinden des Elternteils dreht – nicht um das des Kindes. Reagieren wir auf diese Weise, lernen Kinder etwas über uns, nicht aber über sich selbst und ihre Emotionen. Die dritte Reaktion bietet dir die Möglichkeit, dein Kind mit seinen starken Emotionen zu begleiten  und ihm ein Wegweiser zu sein. Auch, wenn wir bereits mit einer der vorerst genannten Varianten reagiert haben, können wir doch im Anschluss noch gemäß diesem Vorschlag handeln.

Hier benennen die Eltern die Gefühle des Kindes, indem sie  sich auf Augenhöhe begeben und mit dem Kind sprechen: „Ich sehe, du bist wütend/enttäuscht/traurig.“ Dabei versuchen wir dem, was unser Kind gerade durchlebt Worte zu geben. So können wir unserem Kind dabei helfen, zu verstehen, was das Gefühlskarussell in ihm gerade ist und helfen ihm es zu benennen – und somit bilden wir die Basis, damit es sich immer besser ausdrücken kann.

Dieser kleine Leitfaden könnte vielleicht auch dir in einer schwierigen Situation etwas Sicherheit geben.

Ein kleiner Leitfaden für dich, wenn dein Kind haut, beißt, kratzt oder tritt

1. schaffe für dich Sicherheit

Das geht am besten, wenn du aus der Vergangenheit reflektierst, wann dein Kind haut, beißt, kratzt oder tritt. So kannst du die Situationen, die dein Kind überfordern oder überreizen besser einschätzen und bist vorbereitet, es aufzufangen und zu begleiten.

2. lerne dich selbst besser kennen – Selbstbeobachtung

Wenn dich das Hauen, Beißen, Kratzen und Treten deines Kindes triggert und starke Emotionen in dir hervorruft, ist es essenziell, dass du in dich hinein spürst:

Was lösen die Handlungen deines Kindes in dir aus? Welche Gefühle kommen hoch?

Hier geht es um dich und nicht um dein Kind – um deine Themen, wie Wut, Selbstliebe, Selbstwert, deine Bedürfnisse und deine Grenzen.

Kommst du jedoch alleine nicht an die Essenz deiner Themen, ist es hilfreich, mit jemandem an deiner Seite diese Themen anzugehen und aufzulösen – zum Wohle deines Kindes. 

3. begleite dein Kind liebevoll

Wenn du die kritischen Situationen für dein Kind kennst und absehen kannst, wann es kurz vor dem Hauen, Beißen, Kratzen oder Treten steht, nimm dein Kind aus der Situation heraus. Macht gemeinsam eine kleine Pause oder verlasst die Situation  – auch, wenn dein Kind lieber bleiben würde. Es ist an dir, liebevoll die Führung zu übernehmen. 

4.  Nimm deine Erwartungen zurück

Wenn du es bei der nächsten schwierigen Situation schaffst, deine Ruhe zu bewahren, innerlich zu reflektieren und liebevoll mit deinem Kind aus der Situation gehst.  Hast du einen großen Schritt gemacht. Super!

Wenn du alles gegeben hast, es aber nicht so verlaufen ist, wie du es dir gewünscht hast, ist das auch völlig in Ordnung. Erwarte nicht, dass alles auf Anhieb funktioniert. Erwarte nicht, dass du immer den richtigen Zeitpunkt erkennst. Erwarte nicht, dass dein Kind ab sofort nicht mehr haut, beißt, kratzt oder tritt.

Es geht hier nicht um dass Aufhören oder „richtig“ Funktionieren. Bei der liebevollen Begleitung geht es darum, dass du der Kompass für dein Kind bist. Es lernt durch dein Vorleben mit der Zeit, sich anders auszudrücken und seine Impulse zu regulieren.

5. Einen Moment der Verbindung schaffen

Nach dem gemeinsamen meistern einer herausfordernden Situation, solltest du dein Kind in seinem emotionalen Zustand auffangen und euch einen Moment der Verbindung schaffen.

Jedes Kind ist anders – sucht gemeinsam etwas, das deinem Kind gut tut und eure Bindung stärkt.

Es könnte eine kurze Kuscheleinheit sein, ein Buch vorzulesen oder etwas, das ihr sonst gerne gemeinsam im Alltag macht, um zur Ruhe zu kommen. 

Was dein Kind jedoch nicht gebrauchen kann, ist eine Moralpredigt, denn dadurch kann der Lernprozess im Gehirn deines Kindes nicht beschleunigt werden.

6. Reflexion / Verständnis aufbringen

Wir sollten besonders für unsere Kinder viel Verständnis aufbringen, wenn wir uns selbst mal dabei ertappen, dass wir eine Tür zuschlagen, unsere Tasche in die Ecke werfen oder mal einen Schrei loslassen.

Es ist ja so, dass unsere Impulskontrolle bereits ausgereift ist und wir imstande wären, diese emotionalen Impulse anders zu regulieren. Offensichtlich ist es auch für uns nicht immer so einfach. Weshalb sind wir denn dann mit unseren Kindern so streng? Warum  erwarten wir, dass unsere Kinder „richtig“ funktionieren – obwohl wir selbst es doch auch nicht immer schaffen?

Es geht hier nicht darum, dass Emotionen unterdrückt oder abgelenkt werden sollen, sondern ein konstruktiver Umgang erlernt werden soll – und hier ist unser Vorleben so wertvoll.

Bitte halte dir stets vor Augen, dass du deinem Kind eine liebevolle Orientierung bist und gibst.

Dies ist jedoch erst möglich, sobald du deine aufkommenden Themen erkannt hast und sie nicht deinem Kind zuschreibst, denn dadurch übergibst du deine Muster an dein Kind und prägst es bereits „unbeabsichtigt“. Durch diese Vorprägung ist dein Kind natürlich eingeschränkt, sein eigenes Leben wertfrei zu erforschen und auf eigene Abenteuerreise zu gehen.

Kindliches Hauen ist keine „Gewalt“

Was ich hier noch betonen möchte, ist, dass ein hauendes, kratzendes, beißendes oder tretendes Kind in einem völlig natürlichen und entwicklungsbedingten Wutanfall nicht gewalttätig ist.Es hat nichts mit dem zu tun, was wir sonst mit Gewalt verbinden.

Aufarbeitung mit deinem Kind

Und was ist, wenn dein Kind gehauen wurde? In beiden Fällen suche ich ein aufklärendes Gespräch mit meinem Kind. Mit dem Besprechen der Situation mit Einbindung von Empathie können Situationen aufgearbeitet werden. Dies baut ein Verständnis bei meinem Kind auf und wirkt Präventiv. Ebenfalls bietet sich ein Gespräch mit beiden Kindern an – nicht um sich zu entschuldigen, denn für dieses Verständnis fehlt noch die kognitive Reife –  um eine empathische Einsicht für beide Seiten zu ermöglichen und beide Sichtweisen der Situation zu erklären.     

Ich denke, dass wir mit unseren Kindern eine wertvolle und bewusste Beziehung voller Liebe gestalten können, wenn wir unsere nicht dienlichen Glaubensmuster loslassen.Ohne uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen, können wir die Bedürfnisse unseres Kindes erkennen und ohne Wertung begleiten. So prägen wir unsere Kinder durch das, was wir ihnen im Alltag vorleben und müssen in herausfordernden Situationen keine harten Grenzen aufzeigen. Denn, dass schlagen, beißen, kratzen oder treten nicht toll sind, lernt das Kind von uns durch Nachahmung am effektivsten.

Mit viel Liebe und Geduld wird dein Kind andere Wege der Impulskontrolle erlernen. 

Ich wünsche dir viel Kraft und Liebe für deinen Mama Alltag 

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